DIE ZEIT: Lehnen Sie das Auto ab?
Hermann Knoflacher: Ich lehne das Auto nicht ab. Aber ich bin mir bewusst, was es für unsere Gesellschaft bedeutet.
ZEIT: Fahren Sie selbst Auto?
Knoflacher: Ich besitze keines, aber ich fahre hin und wieder auch selbst.
ZEIT: Welchen Einfluss hat denn die Motorisierung auf unsere Gesellschaft?
Knoflacher: Einen unglaublichen Einfluss. Das Auto ist wie ein Virus, das sich im Gehirn festsetzt und Verhaltenskodex, Wertesystem und Wahrnehmung total umkehrt. Ein normaler Mensch würde unseren derzeitigen Lebensraum als total verrückt bezeichnen! Wir ziehen uns mehr oder weniger freiwillig in abgedichtete Häuser mit Lärmschutzfenstern zurück, um den Außenraum dem Krach, dem Staub und den Abgasen der Autos zu überlassen. Das ist doch eine völlige Werteumkehr, die uns nicht einmal mehr auffällt.
ZEIT: Wie kam es Ihrer Meinung nach dazu?
Kommentare
andrku
#1 — 13. September 2007, 13:55 Uhr++ guter Artikel
Sehr erfrischend, wenn Leute in der Lage sind gesellschaftliche Entwicklungen derart losgelöst zu betrachten.
Das Auto war tatsächlich anfangs eine tolle Errungenschaft, mittlerweile ist es zum Zwang geworden (ähnlich wie der PC). Die Wirtschaft hat sich natürlich ganz knallhart der gestiegenen Mobilität angepasst. Auf vielen Dörfern sind alle kleinen Geschäfte ausgestorben, idR gibt es nur noch einige wenige Kneipen (denn betrunken darf man nicht Auto fahren, diese muss deshalb in Fußnähe liegen).
Ein Job in unmittelbarer Wohngegend ist mittlerweile ein großes Glück, Fahrwege >0,5 h absolut üblich. Die "Globalisierung" (ala EU) wird dieses noch weiter verschärfen. Studieren an der besten EU-Uni? Pech wenn die 1000 km weit weg ist, da hilft nur umziehen! Ein Job von dem man gut leben kann? Tja, mal wieder ein Umzug nötig! Usw. usw. Nicht umsonst haben viele Amis mobile Häuser, das kommt mit der EU auch auf uns zu.
MfG
AKu
Gafra
#2 — 13. September 2007, 13:56 UhrWunderbar
oder eben nicht wunderbar!
Die Argumentation ist ausgezeichnet, die Tatsachen sind es eben nicht und als städtebewohnender Radfahrer mit ausgerasteten Autofahrern täglich erlebbar.
snowfix
#3 — 13. September 2007, 13:57 UhrLesenswert
beinahe philosophische Ansätze. Ich habe fast 10 Jahre an einer Hauptdurchgangsstraße gewohnt - einen Tag werde ich nie vergessen - als die Umgehungsstraße für den Verkehr geöffnet wurde und "meine" Strasse für den Durchgangsverkehr gesperrt. Die Ruhe und Stille war unbeschreiblich - einfach "menschlich" - Lärm, Abgase, Gestank sind unmenschlich und daran werden Lebenwesen sich nie gewöhnen.
Mittlerweile (nach weiteren 10 Jahren ) überlegt man die Straße wieder zu öffnen - sie ist zu breit um sie nur dem Anliegerverkehr zugänglich zu machen - auf eine breite Straße gehören eben Autos, LKWs..... Damit die Stadtväter ihre Daseinsberechtigung haben, rechnen sie schon fleißig. Rund 3000 Autos sind den Anliegern doch zumutbar - sollte das kommen - dann bin ich weg. Ich will leben wie ein Mensch - dafür verzichte ich gerne auf die Annehmlichkeiten einer Stadt.
Wie "krank" heute Verkehrsplanung sein kann, zeigt ein weiteres Beispiel. "Meine" Stadt vor den Toren Stuttgarts wurde untertunnelt-um die Belastung zu minimieren. Anfangs ein erhebendes Gefühl, bis auf den Flächen über dem Tunnel plötzlich massiv Einzelhandelsgewerbeflächen erschlossen wurden. Von Discountern bis zu Baumärkten und Gartenzentren. Ergebnis: wer dort hin möchte, muß oberirdisch fahren - und da sogar zusätzlicher Verkehr aus dem Umland angezogen wird, fahren oben mittlerweile wieder Autos ohne Ende - auf den zurückgebauten Straßen-die für dieses hohe Verkehrsaufkommen überhaupt nicht hätten zurückgebaut werden dürfen.
Die Tatsache, dass das Spannungsfeld Politiker-Bürger-Experten nahezu immer zugunsten von Politikern aufgelöst wird, also zu Personen die idR. sehr wenig Ahnung von dem haben, was sie sagen (siehe aktuelle Diskussion zu online-Durchsuchungen) spricht nicht gerade für unsere Gesellschaft.
stefanincello
#4 — 13. September 2007, 15:03 UhrGenial
Die Ansichten sind genial. Allerdings fehlt aus meiner Sicht ein sehr wichtiger Aspekt: Als Grund zum Autofahren wird immer die Mobiltät genannt. Man ist aber, wenn man die benötigte Zeit betrachtet, mit dem Zug oft schneller und teurer ist es auch nicht, wenn man alles am Auto berechnet und nicht nur den Kraftstoff. Die Mobilität ist ein Vorwand, weil das Auto vielmehr als Statussymbol fungiert. Es präsentiert mich, und ohne Auto bin ich niemand. Auch hat agressives fahren nicht zum Ziel, schneller anzukommen, auch wenn dies die agressiven Fahrer gerne behaupten, sondern dass wirkliche Ziel ist, den anderen zu besiegen. Darüber hinaus sucht man beim Auto gewisse Emotionen. Heutige Autos sind so perfekt, dass man keinen Unterschied fühlt, ob man 200 km/h fährt oder 70 km/h. Man sucht also mit diesen Umsonst nach einem Erlebnis. Es ist fast, als sähe man einen Film in der Windschutzscheibe. Deswegen fährt man immer weiter, immer schneller, auf der verzweifelten Suche nach den Emotionen und findet sie doch nicht. Wenn man dann aus Madagaskar zurückkommt, kann man natürlich auch nicht den anderen erzählen, dass man sich extrem beim Autofahren gelangweilt hat, sondern man muß ihm erzählen wie toll es war.
Eine Lösung ist für mich, ein altes Auto und weniger zu fahren, dann brauche ich nicht so weit zu fahren, um etwas zu erleben und es ist auch umweltfreundlicher, weil ich ja kürzere Strecken fahre: nach 50 km reicht's im Normalfall weil Erlebnisse auch anstrengend sind.
Crusader
#4.1 — 13. September 2007, 15:16 UhrÖffentlicher Verkehr versus Automobil
Es ist die klassische Irreführung der Umweltimperialisten,
dass die Bahn in umweltlichen Belangen eine bessere Option ist.
Ist es aber nicht.
Weil,
es funtktioniert nicht.
Die Verspätungen und Störungen die ständige Regel sind. Dies wird bei der Argumentation stets flagrant aus der Seite der Umweltdogmatiker ausgelassen.
Ein Gegenbeweis:
In Nordkorea gibts fast keine Fahrzeuge. Dennoch ist das Land durch Luftverschmutzung total verseucht.