Politik 2/2005ÖPNV-FinanzierungMehr Mut zum ErfolgDer Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) steckt in der Krise: Die Angst vor dem Wettbewerb und vor sinkenden Zuschüssen lähmt die Branche und verhindert Reformen.
Erfolg kann einen ruinieren. Das ist beim öffentlichen Verkehr nicht anders als in anderen Branchen. Wer sein Produkt auf Dauer zu günstig anbietet, macht pleite. „In der Zeit von 2002 bis 2004 haben wir eine Fahrgastzunahme von 105000 auf 158000 erreicht", berichtet Mareike Bischof von der Kreisverkehrsgesellschaft Euskirchen bei der Vorstellung ihres TaxiBus-Systems auf einer Tagung. Mehr Fahrgäste, mehr Probleme: „Für 2005 haben wir ein prognostiziertes Defizit von 580000 Euro.“ Auf die Frage, wie der TaxiBus weiter finanziert werden kann, weiß sie keine Antwort. Qualität gut, Fahrgastzahlen steigend, Finanzierung ungewiss: Auf diese Formel lassen sich viele innovativen Verkehrsprojekte reduzieren. Da sie meist isoliert existieren, als Pilotprojekte vorübergehend von außen finanziert, steht ihr Schicksal fest: Nach halbherziger Unterstützung sterben sie dahin. Was bleibt, ist die wieder einmal unter Beweis gestellte Tatsache, dass der öffentliche Verkehr für eine Kommune kaum noch zu finanzieren ist. Zu viel oder zu wenig?Wenn es um die öffentlichen Zuschüsse geht, ist die
ÖPNV-Szene gespalten. Die einen prophezeien den
Qualitätskollaps, die anderen bemängeln, dass schon
viel zu viel Geld in „Verwaltungswasserköpfe“
und leere Busse investiert wird.
Mehr WettbewerbAuch der VCD beklagt den stetigen Rückgang an öffentlichen Mitteln für den umweltfreundlichen Nahverkehr: „Hier wird ohne Plan gekürzt“, bemängelt VCD-Vorstand Michael Gehrmann. „Sicher gibt es ein großes Einsparpotenzial. Aber so lange es keine besseren politischen Rahmenbedingungen gibt, ist mit Mittelkürzungen immer auch eine Leistungsverschlechterung verbunden.“ Eine Milliarde mehr oder weniger? „Wir brauchen einen neuen politischen Konsens, wie viel ein funktionierender ÖPNV der Politik wert ist“, sagt Gerd Hickmann, ÖPNV-Berater aus Tübingen und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des VCD. „Dieser Konsens wird mit den Finanzpolitikern aber nur herzustellen sein, wenn die ÖPNV-Branche ihrerseits zu Strukturreformen bei der ÖPNV-Finanzierung bereit ist: mehr Effizienz, mehr Transparenz.“ Mit den heutigen Mitteln wäre mehr und besserer ÖPNV möglich, glaubt der ÖPNV-Berater: „Aber unter den jetzigen Bedingungen des ÖPNV-Finanzierungsdschungels ohne klare Strukturen und Verantwortlichkeiten sind die Finanzminister schnell mit dem Rotstift bei der Hand.“ Laut Hickmann, der für die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen ein Eckpunktepapier zum ÖPNV verfasst hat, müssen sich vor allem drei grundlegende Voraussetzungen ändern:
Die EU-Liberalisierungswelle hat inzwischen auch den ÖPNV erreicht und zu einer tiefen Spaltung der Verkehrsszene geführt. Viele Landkreise und Kommunen hoffen durch mehr Konkurrenz und öffentliche Ausschreibungen auf günstigere Angebote für ihre Buslinien. Die Verkehrsunternehmen und ihre Mitarbeiter befürchten Billigangebote durch Lohn- und Sozialdumping oder gar einen Qualitätsverlust für die gesamte Branche. Bisher ist es ihnen durch einen Trick gelungen, den Wettbewerb zu vermeiden: Die Verkehrsbetreiber müssen nur ausschreiben, wenn sie ihre Leistungen „gemeinwirtschaftlich“, also mit öffentlichen Mitteln erbringen. Eine „eigenwirtschaftliche“ Verkehrs GmbH entzieht sich dem Wettbewerbsrecht – auch wenn die Kommune ihr per Quersubvention die Einnahmen ihrer Strom- oder Gasbetriebe überlässt. Daher wird – obwohl laut Gesetzgebung seit 1996 eigentlich Pflicht – nur ein kleiner Teil der Leistungen bisher ausgeschrieben. Schade für die Kunden: Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass sich durch Ausschreibungen bis zu 30 Prozent Effizienzsteigerungen erreichen lassen. ÖPNV, der Umwelt zuliebeDas Umweltbundesamt (UBA), das aus Umweltgründen an einem effizienten und bezahlbaren Bus- und Bahnverkehr interessiert ist, plädiert für einen „kontrollierten Wettbewerb“. Nicht ein Qualitätsverlust, wie häufig beschworen, sondern ein Qualitätsgewinn sei die Folge. „Neben dem Nahverkehrsplan als zentralem Steuerungsinstrument im ÖPNV bietet der Ausschreibungswettbewerb die Möglichkeit, verbindliche Umwelt- und Qualitätskriterien festzuschreiben und über Anreizverträge neue Kunden zu gewinnen“, sagt der UBA-Verkehrsreferent Michael Bölke. „Gleichzeitig sorgt der Wettbewerb für gute Angebote und günstige Preise.“ Ausschreiben kann nur, wer auch das Geld hat, um Leistungen zu
bestellen. Die Kreise und Kommunen sind zwar die sogenannten
Aufgabenträger im öffentlichen Verkehr, das heißt
sie sind gesetzlich verpflichtet, für ein ordentliches
Angebot zu sorgen. Die Gelder, die Bund und Land dafür zur
Verfügung stellen, fließen jedoch großteils an
ihnen vorbei direkt in die Taschen der Verkehrsunternehmen. Das
gilt vor allem für den größten Batzen: die
Kostenerstattung für den Schülerverkehr.
Ursprünglich als Einnahmeausfall für die reduzierten
Schülertickets konzipiert, haben sich diese Zuschüsse
inzwischen zur Haupteinnahmequelle vieler Busfirmen entwickelt.
Ein Schüler bringt oft eineinhalbmal so hohe Einnahmen wie
ein anderer Fahrgast. „Dies führt dazu, dass sich vor
allem abseits der Großstädte viele Busunternehmen auf
diese anspruchslose Zielgruppe konzentrieren“, erklärt
Gerd Hickmann. „Erwachsene Neukunden, Umsteiger vom Auto
sind weniger lukrativ und daher uninteressant. Das kann so nicht
gewollt sein.“
Ein weiteres Problem ist die Vielzahl der Fördermittel und Geldgeber in der Branche. „Spaghetti-Finanzierung“ nennt Hickmann das undurchdringliche Gewirr an Geldflüssen, das selbst zuständige Politiker oft ratlos lässt. „Kaum ein Bundes-, Landes- oder Kommunalpolitiker durchschaut den Dschungel unseres ÖPNV-Finanzierungssystems. Das ist gefährlich, da die Konsequenzen von Kürzungen oft nicht klar sind“, warnt Hickmann. Das Eckpunktepapier der Grünen fordert daher „die Neuordnung der öffentlichen ÖPNV-Finanzierung mit dem Ziel größerer Transparenz, größerer Flexibilität und damit Effektivität.“ Alle Finanzmittel sollten bei den Kommunen als Bestellern von ÖPNV-Leistungen gebündelt werden – das hat sich beim Schienennahverkehr bereits bewährt. Wo bleibt der Kunde?Klare Ausschreibungen, klare Verantwortlichkeiten, klare
Finanzierungsmöglichkeiten – und das alles im Dienste
des Kunden, von dem bisher im ÖPNV-Alltag viel zu wenig
gesprochen wird. „Der Kunde muss bei einer Reform zum
Maßstab aller Dinge werden“, sagt VCD-Vorstand Michael
Gehrmann. Die derzeitige Förderung konzentriert sich ganz
auf die Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs. Fünf
Millionen für den Umbau eines Busbahnhofs, 200000 Euro
für einen neuen Bus – kein Problem nach den
derzeitigen Förderstrukturen. Für eine
Marketingkampagne, die die Fahrgastzahlen erhöhen soll, gibt
es in den Fördertöpfen dagegen nicht einen einzigen
Euro.
In diese Richtung weist das neue ÖPNV-Gesetz des Landes Brandenburg. Es bündelt alle Fördermittel für den ÖPNV bei den kommunalen Aufgabenträgern. Außerdem belohnt es den Erfolg: „70 Prozent der Mittel werden jetzt abhängig von Angebotsumfang und Fahrgastzahlen ausgezahlt“, erklärt ÖPNV-Experte Hickmann, der das Gesetz im Auftrag der Landesregierung erarbeitet hat. Aufstieg und Fall des Stadtbusses EuskirchenEin Dauerproblem des ÖPNV bleibt allerdings: Er hat seine Erfolgsfaktoren nur teilweise selbst in der Hand. So wichtig ein gutes Bussystem ist – erfolgreich wird es nur, wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Für die ist die Kommune zuständig. Was ein Parkplatz in der Innenstadt kostet, ist für den Erfolg eines Bussystems ebenso entscheidend wie saubere Busse. Je klarer sich eine Kommune zur umweltschonenden Mobilität bekennt, um so erfolgreicher kann der Nahverkehrsanbieter sein. Noch einmal Euskirchen: 1996 startete mit dem Stadtbus Euskirchen eine Erfolgsgeschichte, von der andere Gemeinden träumen. Wo es ein privat betriebener Bus vorher auf etwa 800 Passagiere pro Monat brachte, existierte nach fünf Jahren ein dichtes Stadtbusliniennetz, das fünf Millionen Fahrgäste nutzten – fast alle Neukunden und Umsteiger vom Auto. Die „Stadtverkehr Euskirchen“ (SVE), die den Stadtbus als GmbH betreibt, bekam als finanzielle Grundlage die Einnahmen aus der Parkraumbewirtschaftung und die Überschüsse der Gasversorgung mit auf den Weg. Schon zwei Jahre später kippte das System. Ein
Mehrheitswechsel im Stadtrat und eine Verkehrspolitik, die wieder
verstärkt aufs Auto setzte, entzog der SVE ihre
Handlungsfreiheit. Das Erfolgsprodukt des SPD-Stadtrats wurde
unter der CDU zum Sparmodell. „Erfolge stellen sich nur
ein, wenn Politik und Verkehrsbetriebe partnerschaftlich
zusammenarbeiten“, sagt Unternehmensberater Thomas J.
Mager, der die SVE als Betriebsleiter mit zum Erfolg führte.
Ähnlich erfolgreich ist die Geschichte des flämischen Restaurantbesitzers und Lokalpolitikers Steve Stevaert. Aus Ärger über die Verkehrszunahme in seiner Heimatstadt Hasselt ließ er sich 1995 als Kandidat für die Bürgermeisterwahl aufstellen. Mit seinem innovativen Verkehrskonzept gewann er nicht nur die Wahl. Nach seiner Zeit als Bürgermeister wurde er Verkehrsminister in Flandern. Die belgische Stadt Hasselt ist in Verkehrskreisen nun ebenso bekannt wie London (siehe Seite 30). Die Botschaft, die Livingstone oder Stevaert für ihre verzagteren Kollegen bereithalten: Erfolg kann einen ruinieren – oder unsterblich machen. Regine Gwinner
|
||||||||||||